... Lernen in Neckarbischofsheim

Praktisches Wissen zur Gewaltprävention

Bei einem der verschiedenen themenzentrierten Unterrichtswochen im Mittelkurs der Ausbildung ging es um das Thema „Herausforderndes Verhalten“. Das Thema weckte direkt Interesse, da ein Großteil der Auszubildenden täglich in ihrer praktischen Arbeit damit konfrontiert sind und dadurch in besondere und teils auch belastende Situationen gerät. So war das Interesse an dem Thema schon zu Beginn groß und wir gingen mit der Erwartung in diese Woche, einiges für unsere praktische Arbeit mitnehmen zu können.

"Gewalt" – ein Begriff, der den angehenden Heilerziehungspfleger/innen des Mittelkurses täglich bei der Arbeit begegnet. Gewalt hat viele Gesichter und ist als solche oft nicht erkennbar. Daher war es zu Beginn der Themenwoche nötig, den Begriff klar zu bestimmen. Direkt war klar: Wir begegnen der Gewalt im Alltag öfters als gedacht und befinden uns nicht nur in der Opferrolle, etwa in der Begegnung mit Menschen mit herausforderndem Verhalten. Nein, auch wir üben unterbewusst fast täglich Gewalt aus, indem wir gegen den Willen einer Person handeln. Daher wurden uns zunächst die verschiedenen Arten und mögliche Ursachen für Gewalthandlungen genauer erklärt. Des Weiteren setzten wir uns auch persönlich mit dem Thema auseinander, indem wir uns über Erfahrungen austauschten. Gerade bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist es wichtig, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, da es schnell zu einem Machtmissbrauch und damit verbundenen Gewalthandlungen kommen kann.

In einer weiteren Unterrichtseinheit wurde explizit auf das Thema "Gewalt in der Pflege" eingegangen. Auch hier betrachteten wir reflexiv unser Verhalten, indem wir uns beispielsweise über die Notwendigkeit von Fixierungsmaßnahmen austauschten. Hier spielen vor allem Ethik und Moral eine zentrale Rolle, da aufgrund struktureller Gegebenheiten ein Handeln ohne Gewalt beinahe unmöglich scheint. Umso wichtiger ist es, das eigene pflegerische Handeln stets zu reflektieren, um im Sinne der Bewohner/innen angemessen damit umzugehen. Im Gegensatz dazu können auch wir in unserem Berufsalltag von Gewalt betroffen sein, etwa durch körperliche und verbale Übergriffe der Klienten. Besonders bei der Arbeit mit Menschen mit kognitiven Einschränkungen und herausforderndem Verhalten kann dies vorkommen. Daher war es in der Themenwoche auch wichtig, uns mit verschiedenen Deeskalationstechniken zu beschäftigen. Über zwei Tage wurde uns daher ProDeMa (Professionelles Deeskalationsmanagement) vorgestellt, ein Konzept zum professionellen Umgang mit Gewalt und Aggression im Gesundheits- und Sozialwesen. Durch theoretische und praktische Inhalte beschäftigten wir uns mit verschiedenen Interventionsmöglichkeiten, zum Beispiel in Bezug auf verbale und körperliche Übergriffe. Auch hier entstanden viele interessante Eindrücke, welche bedeutsam für unsere Handlungen im Arbeitsalltag sind.

Besonders interessant an den Inhalten der ProDeMa - Referenten war das „Kreismodell der Deeskalationsstufen“. Dieses konnten wir ziemlich gut auf eigene Erfahrungen mit Verhaltensweisen unserer Bewohner/innen spiegeln. Verschiedene Stufen des Modells haben wir immer wieder mit Rollenspielen ergänzt. Muster dafür waren die praktischen Erfahrungen aus unserer Arbeit. Rückblickend bekamen wir so eine gute Gelegenheit, unser Verhalten in Situationen mit herausforderndem Verhalten zu reflektieren und neue Erkenntnisse daraus mitzunehmen. Körperliche Deeskalationstechniken haben diese Einheit nochmals abgerundet.

Allerdings begegnet uns Gewalt nicht nur bei der Arbeit, sondern kann auch privat durchaus eine enorme Belastung sein. Gewalt in Beziehungen ist in der heutigen Zeit immer noch ein Thema, welches von den Betroffenen tabuisiert wird. Dieses Thema wurde ebenfalls aufgegriffen und wir beschäftigten uns einen Tag explizit damit. In dieser Themeneinheit spielten vor allem persönliche Erfahrungen eine große Rolle und den Schüler/innen gelang es, sich für das Thema zu öffnen und in Kleingruppen kontrovers darüber zu diskutieren.

Die Themen "Herausforderndes Verhalten" und "Gewalt" sind breit gefächert und begegnen uns in verschiedenen Lebenssituationen. In der themenzentrierten Unterrichtswoche gelang es den internen Dozenten der Fachschule sowie den externen Referenten, uns ein Bewusstsein in Bezug auf die Themen zu schaffen. Ziemlich gut gefallen hat uns, dass wir viele theoretische Inhalte der Woche gut mit unseren praktischen Erfahrungen verknüpfen konnten. Wir haben neue Erkenntnisse gewonnen und fühlen uns nun sicherer in zukünftigen Situationen mit herausforderndem Verhalten. Weiterhin wurde unser Bewusstsein für strukturelle Gewalt geschärft, die abhängig von der Einrichtung doch sehr präsent sein kann. Uns wurde klar, wie wichtig es ist, Hintergründe für verschiedene Verhaltensweisen zu erkunden. Die betroffenen Menschen werden durch ihr Verhalten oft in Schubladen gesteckt und innere Bilder verfestigt. Dem soll durch einen professionellen und vor allem empathischen Umgang entgegengewirkt werden, denn keine Handlung geschieht ohne Grund. Ein Zitat von Bert Brecht, welches uns über die gesamte Woche begleitete war: "Der reißende Fluss wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig."

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