... Lernen in Neckarbischofsheim

„Mein Lebenstraum wird sich erfüllen“

Heidelberg. Erfolg für das Projekt „Inklusive Bildung Baden-Württemberg“: Der baden-württembergische Landtag hat in seinem Doppelhaushalt 2020/2021 im Etat des Wissenschaftsministeriums Mittel für das Projekt verankert. Damit soll ein Zentrum für Inklusive Bildung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg entstehen. Sechs Männer und Frauen, die bisher in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen gearbeitet haben, können im Anschluss an ihre Qualifizierung zur „Bildungsfachkraft“ an die PH wechseln. Das wäre das erste Mal in Deutschland, dass Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen Mitarbeitende einer Hochschule werden.

„Ich kann immer noch nicht fassen, dass sich nun mein Lebenstraum erfüllen wird!“ Thilo Krahnke wollte schon immer Lehrer werden. Doch er traute sich kaum, dies anderen Menschen zu erzählen. Thilo Krahnke besuchte eine Förderschule und arbeitete anschließend in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Das Projekt „Inklusive Bildung Baden-Württemberg“ ermöglicht ihm eine dreijährige Qualifizierung zur Bildungsfachkraft. Gemeinsam mit Anna Neff, Michael Gänßmantel, Hartmut Kabelitz, Thorsten Lihl und Helmuth Pflantzer vermittelt er Studierenden an Fach- und Hochschulen die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen.

„Der langjährige und systematische gesellschaftliche Ausschluss von Menschen mit Behinderungen führt bei Menschen ohne Behinderungen zu Unsicherheit und Unerfahrenheit“, erläutert der Projektleiter Stephan Friebe. Selbst engagierte Lehr-, Fach- und Führungskräfte fühlten sich oft unsicher und unwissend. „Mit unserem Projekt werden erstmalig in Baden-Württemberg Menschen, die als geistig behindert gelten, qualifiziert, um die Lebenswelten, spezifischen Belange und Sichtweisen von Menschen mit Behinderungen Studierenden an Fach- und Hochschulen nahezubringen.

Initiiert wurde das Projekt von der Fachschule für Sozialwesen der Johannes-Diakonie. Eine Kooperation mit dem Institut für Inklusive Bildung, einer selbstständigen, der Universität zu Kiel angegliederte Einrichtung und die finanzielle Unterstützung durch die Dieter Schwarz Stiftung ermöglichten den Ausbau dieser Idee zum Projekt „Inklusive Bildung Baden-Württemberg“. Als Kooperationspartner auf Hochschulebene konnten die Pädagogische Hochschule Heidelberg und die Evangelische Hochschule Ludwigsburg gewonnen werden.

Bereits seit Sommersemester 2018 finden regelmäßige Lehrveranstaltungen der angehenden Bildungsfachkräfte an der PH Heidelberg und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg statt. Diese Veranstaltungen werden von Studierenden wie hauptamtlich Lehrenden als hochwertige Ergänzung zur fachwissenschaftlichen Lehre erlebt. Sie ermöglichen Studierenden einen wertvolle Perspektivwechsel, Anstöße für Haltungsentwicklungen und neues Wissen.

„Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass dies ein hervorragendes Vorhaben ist. Und dass ganz viele Menschen davon profitieren können“, sagt Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zum Projekt. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sei eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. „Deshalb müssen wir vor allem auch die Barrieren in den Köpfen abbauen.“ Es sei faszinierend, mit welchem Selbstbewusstsein, welcher Kraft und Expertise die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Ausbildung zu Bildungsfachkräften heute in der Lage seien, zu präsentieren, einzuordnen und sich im offenen Dialog Fragen zu stellen.

Die Gestaltung methodisch und inhaltlich anspruchsvoller Lehrveranstaltungen ist ein zentrales Ziel der dual aufgebauten Qualifizierung. „Neben der Vermittlung methodisch-didaktischer Kompetenzen stehen auch Themen wie der Aufbau unseres Bildungssystems, Anforderungen und Rechte im Kontext von Schon- und Schutzräumen oder Informationen zur UN Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz auf dem Stundenplan“, führt Sarah Maier, die Leiterin der Qualifizierung aus. Insgesamt fünf Module in Theorie und Praxis umfasst die dreijährige Vollzeitqualifizierung und jedes Modul endet mit einer Prüfung.

Das Projekt war von Beginn an auf Nachhaltigkeit und Verstetigung angelegt und darauf, den Bildungsfachkräften im Anschluss an die dreijährige Qualifizierung dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse anbieten zu können. Dies wird nun geschehen. Wie Wissenschaftsministerin Theresia Bauer mitteilte, steht die Finanzierung zur Fortsetzung des Projekts. Das Land sichert den Bildungsfachkräften dauerhafte Arbeitsplätze. In enger Zusammenarbeit zwischen dem Wissenschaftsministerium, den Projektverantwortlichen und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg soll die Verstetigung nun umgesetzt werden.

Geplant ist ein Zentrum für Inklusive Bildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, das den Rahmen für den Einsatz der sechs Bildungsfachkräfte in der Hochschullehre bildet. Flankierend wird eine dreijährige wissenschaftliche Begleitung angestrebt, um Aussagen über die Wirkung des Einsatzes der Bildungsfachkräfte auf die Bildungsfachkräfte selbst und auf die Zielgruppen (Lehramtsstudierende, Studierende in anderen Bereichen, weitere Zielgruppen, zum Beispiel öffentliche Verwaltung) treffen zu können.

Das Zentrum für Inklusive Bildung stellt ein absolutes Novum in der landes- und bundesweiten Hochschullandschaft dar. Erstmals wechseln dann Personen aus der Werkstatt für behinderte Menschen auf unbefristete Arbeitsplätze in den tertiären Bildungssektor.

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